Menschen mit Beeinträchtigungen

Nicht über uns, ohne uns: Seit Jahrzehnten kämpfen Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen für ein selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben in unserer Gesellschaft. Viel hat sich in den letzten Jahren getan, doch von einem selbstverständlichen Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung ist unsere Gesellschaft noch weit entfernt.

Die Menschenrechte gelten für alle. Aber noch immer können nicht alle ihre Menschenrechte gleichermaßen wahrnehmen. Verschiedene Barrieren hindern Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen zu oft daran: Gute inklusive Bildungsangebote sind nicht flächendeckend ausgebaut, Arztpraxen nicht barrierefrei, der Arbeitsmarkt kaum inklusiv. Die UN-Behindertenrechtskonvention konkretisiert, wie Rahmenbedingungen gestaltet sein müssen, damit auch Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen ihre Menschenrechte wahrnehmen können.

Forderungen und Positionen

Für ein selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben in unserer Gesellschaft kämpfen Menschen mit Behinderungen seit Jahrzehnten. Doch gerade in Lebensbereichen, die maßgeblich dafür sind, welche Chancen Menschen ergreifen und wie sie sich in die Gesellschaft einbringen können, hapert es mit der Inklusion in Bayern gewaltig. Diese strukturelle und institutionelle Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen verstößt nicht nur gegen die UN-Behindertenrechtskonvention und damit gegen geltendes Recht. Sie ignoriert auch die Stärken und Potentiale von Menschen mit Behinderungen.

Mit dem Begriff „Inklusion“ wird ein Perspektivwechsel im Zusammenleben von Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen beschrieben, der über Integration hinaus geht. Im Fokus stand bislang die individuelle Teilhabefähigkeit von Menschen mit Beeinträchtigungen. Dabei ging es in erster Linie um die Integration in bestehende Strukturen und den Ausgleich von Nachteilen. In der Inklusionsdebatte tritt der Blick auf die Möglichkeiten zur Teilhabe neu hinzu: Wie müssen die Strukturen in unserer Gesellschaft umgestaltet werden, damit sich Menschen mit Beeinträchtigungen am Alltagsleben beteiligen können, ohne auf Hindernisse zu stoßen? Im Unterschied zu Integration bedeutet Inklusion, die Teilhabefähigkeit der/des Einzelnen und die Teilhabemöglichkeiten der Gesellschaft in Einklang zu bringen.

2012 haben wir unsere 10 Forderungen zur Inklusion veröffentlicht.

  1. Inklusion braucht Menschen mit Beeinträchtigungen als Experten
    Einrichtungen und Fachleute haben viel zur Verbesserung der Situation von Menschen mit Beeinträchtigungen in der Gesellschaft beigetragen und versucht, deren Interessen zu vertreten. Ohne dieses Engagement wäre unsere Gesellschaft heute eine andere. Für die Umsetzung von Inklusion ist es jedoch unabdingbar, dass Menschen mit Beeinträchtigungen selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Hierzu ist es wichtig, sie als Experten in eigener Sache anzuerkennen und zu beteiligen. Dieses Expertentum sieht der Paritätische in Bayern als Grundlage für eine inklusive Gesellschaft.
  2. Inklusion braucht eine Gesellschaft, die sich ihrer Exklusion bewusst ist
    Menschen mit Beeinträchtigungen werden oft in Spezialeinrichtungen betreut. Sie werden deshalb im alltäglichen gesellschaftlichen Leben wenig wahrgenommen. Die Gesellschaft ist sich oft nicht darüber bewusst, dass sie viele Menschen von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausschließt. Kompetenzen im Umgang miteinander werden so erst gar nicht erlernt und erprobt. Teilweise erfolgt Exklusion aber auch bewusst, weil sich dadurch die Gesellschaft und ihre Bürgerinnen und Bürger „entlasten“. Der Paritätische fordert Schritte in eine Gesellschaft, die sich ihrer Exklusion und ihrer Motive dafür bewusst wird, in ihrer Mitte Platz für Menschen mit Beeinträchtigungen macht und mit ihnen selbstverständlich zusammenlebt.
  3. Inklusion braucht neue strukturelle Rahmenbedingungen in der Gesellschaft
    DieTeilhabefähigkeiten des Individuums und dieTeilhabemöglichkeiten, die eine Gesellschaft bietet, müssen einander entsprechen. Ein konstruktiver Dialog über Inklusion muss die Teilhabemöglichkeiten der Gesellschaft, der Wirtschaft, der öffentlichen Infrastruktur – der Schulen, Behörden, Verkehr, etc. – überprüfen und die Strukturen entsprechend anpassen. Der Paritätische fordert eine breite Diskussion darüber, wie die strukturellen Rahmenbedingungen verbessert werden können, damit für Menschen mit Beeinträchtigungen die Teilhabe in unserer Gesellschaft uneingeschränkt gewährleistet wird.
  4. Inklusion muss eine Verpflichtung für den Sozialstaat sein
    Ziel des Sozialstaats muss es sein, allen Menschen Teilhabe und aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Das Credo des „aktivierenden“ Sozialstaates „Fördern und Fordern“ bildet auch den Hintergrund der Diskussion um Inklusion. Fördern und Fordern sind dabei auch als Auftrag an die Gesellschaft zu verstehen. Inklusion verpflichtet den Sozialstaat dazu, Menschenrechte zur Grundlage des Zusammenlebens zu machen und nicht den Vollzug arbeitsmarktpolitischer oder wirtschaftlicher Interessen. Der Paritätische fordert, dass der Sozialstaat das Credo des „Förderns und Forderns“ auch gegen sich selbst gelten lässt und nicht nur seine Bürgerinnen und Bürger damit konfrontiert.
  5. Inklusion braucht zur Verwirklichung den Sozialraum
    Inklusion braucht zur Verwirklichung vor Ort neben dem politischen Willen und strukturellen Rahmenbedingungen auf Landes- und Bundesebene den Sozialraum. Hier werden die Menschen in ihrem direkten Lebensumfeld erreicht. Inklusion betrifft dabei nicht nur soziale Einrichtungen, sondern den Sozialraum in seiner Gesamtheit – die Bürgerinnen und Bürger, den Supermarkt, den Friseur, die Arztpraxis, das Jugendzentrum, die Kirche, etc.
  6. Inklusion braucht Partnerschaft
    Zur Verwirklichung von Inklusion müssen alle – Menschen mit und ohne Beeinträchtigung, Leistungsanbieter, Leistungsträger, Akteure der Sozialräume – aufeinander zu gehen und gemeinsam an einem Strang ziehen. Partnerschaft setzt voraus, miteinander in den Dialog zu treten und Verständnis für die Interessen der anderen zu entwickeln. Damit sich die Gesellschaft nachhaltig in Richtung Inklusion verändert, braucht es eine Partnerschaft aller, die die Veränderungen konstruktiv in Gang bringt. Diese partnerschaftlichen Strukturen müssen aus- und aufgebaut werden. Der Paritätische stellt sein Know-How für die Begleitung dieses Prozesses zur Verfügung.
  7. Inklusion braucht selbstkritische Leistungsanbieter
    Fachleute und soziale Einrichtungen können wichtiges Expertenwissen über eine inklusive Gesellschaft beitragen. Hierzu bedarf es auch einer selbstkritischen Haltung gegenüber dem eigenen Tun. Die Verdienste der Vergangenheit sollten nicht davon abhalten, für die Zukunft über die Entwicklung neuer Leistungsformen nachzudenken. Voraussetzung für die Entwicklung inklusiver Strukturen sind Leistungsanbieter, die bereit sind, sich den Herausforderungen dieser neuen Aufgabe zu stellen.
  8. Inklusion braucht konkrete Praxis und Modelle
    Gesellschaftliche Rahmenbedingungen spiegeln sich an ganz konkreten Beispielen: Ambulantisierung z.B. scheitert oft an der Suche nach geeignetem Wohnraum oder an den Widerständen, wenn der Wohnraum gefunden wurde. In Modellen zur inklusiven Bewirtschaftung von Wohnungsbeständen könnten Lösungen gefunden werden, wie sich Rahmenbedingungen ändern lassen. Der Paritätische fordert Institutionen und Einrichtungen auf, sich in (Modell-)Projekten gemeinsam mit Menschen mit Beeinträchtigungen auf den Weg zu machen, das Leben in unserer Gesellschaft inklusiver zu gestalten
  9. Inklusion betrifft alle, nicht nur Menschen mit Beeinträchtigung
    In unserer Gesellschaft werden Menschen aufgrund von Eigenschaften ausgegrenzt, die nicht als Beeinträchtigungen anzusehen sind. Menschen sind z.B. aufgrund von Armut, ethnischer Zugehörigkeit oder sexueller Orientierung an gesellschaftlicher Teilhabe gehindert. Die Teilhabemöglichkeiten dieser Personengruppen gehören auch in eine Diskussion über eine inklusive Gesellschaft. Der Paritätische fordert eine Diskussion über Inklusion, die auch die strukturelle Benachteiligung von Menschen berücksichtigt.
  10. Inklusion braucht Augenhöhe und Selbstbestimmung
    Menschen mit Beeinträchtigungen haben kein Interesse daran, dass andere besser als sie selbst wissen, was sie möchten und welche Ziele sie verfolgen. Sie wollen nicht mehr Rechte als andere, sie wollen die gleichen Rechte. Der Paritätische fordert eine Auseinandersetzung zur Verwirklichung gleicher Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen – auf Augenhöhe.

10 Forderungen zur Inklusion in Schwerer Sprache (PDF)

10 Forderungen zur Inklusion in Leichter Sprache (PDF)

Der gleichberechtigte und gleichwertige Zugang zu allen Lebensbereichen – zu Schule, Hochschule und Sporthalle, zu Wohnraum, Arztpraxis, Kiosk, Internet, Medien, Bahn, Bankautomat und anderes mehr – ist kein individueller Luxus, sondern ein Menschenrecht. Es ist also Kernaufgabe des Staates, alle Lebensbereiche für alle Bürger*innen zugänglich zu machen.

Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN BRK) hat sich Deutschland zudem noch einmal ausdrücklich verpflichtet, umfassende Barrierefreiheit zu schaffen. Damit das gelingt, müssen rechtliche Regeln und Standards entwickelt, verbindlich eingeführt und in ihrer Durchführung überwacht werden. Denn Menschen mit Behinderungen stoßen im Alltag noch immer auf viele Barrieren. Das muss sich ändern.

Paritätische Eckpunkte für eine barrierefreie Gesellschaft (PDF)

Das bayerische Schulsystem ist nicht inklusiv. Die Exklusionsquote – also der Anteil der Schüler*innen, die in Förderschulen unterrichtet werden im Verhältnis zur Gesamtzahl der Schüler*innen – ist in den letzten zehn Jahren sogar gestiegen!

Wir fordern für ein inklusives Schulsystem

  • einen ganzheitlichen Blick auf inklusive Bildung, Bildungsübergänge sowie individuelle Förderbedarfe von Kindern und Jugendlichen
  • eine gleichwertige Finanzierung und Förderung freier, kommunaler und staatlicher Schulen
  • den Einsatz von multiprofessionellen Teams, Inklusionskräften und Individualbegleiter*innen an Schulen
  • eine verpflichtende inklusive Grundausbildung im Lehramtsstudium

Zum Themenbereich Bildung

Positionspapier Alle gehören dazu: Recht auf inklusive Bildung jetzt verwirklichen (PDF)

Menschen mit Behinderungen sind selten auf dem ersten Arbeitsmarkt beschäftigt, dafür überproportional von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen.

Wir fordern für einen inklusiven Arbeitsmarkt

  • die Förderung eines Bewusstseinswandels, der die Stärken und Potentiale von Menschen mit Behinderungen in den Vordergrund stellt
  • die Schaffung von inklusiven Arbeitsplätzen auf dem ersten Arbeitsmarkt durch passgenaue Unterstützung für Arbeitgeber*innen
  • die nachhaltige Förderung von Inklusionsfirmen als Bindeglied zwischen den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und dem ersten Arbeitsmarkt

Zum Themenbereich Arbeit und Beschäftigung

Inklusionsunternehmen sind zentraler Bestandteil im Arbeitsmarkt Bayern, um Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung passgenaue Arbeit, tarifliche Entlohnung und arbeitsplatzbezogene Förderung zu ermöglichen. Sie sind wichtiges Bindeglied zwischen den anerkannten Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und den regulären Betrieben und Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes, die nur sehr gering diesen Personenkreis beschäftigen.

Die nachhaltige und auskömmliche Finanzierung durch koordinierte Maßnahmen des Freistaats und der bayerischen Bezirke kann die beruflichen Chancen von Menschen mit Behinderung deutlich erhöhen und ihre Teilhabemöglichkeiten stärken.  

Wir fordern

  • Eingliederungszuschuss: bessere Förderung bei Einstellung in Bezug auf zeitliche Dauer und Zuschusshöhe (Agenturen für Arbeit)
  • neue Förderung / Zuschuss bei Einstellung für Menschen mit Schwerbehinderung ab 50 Jahren bei zunehmender Multimorbidität (Zentrum Bayern Familie und Soziales - ZBFS)
  • Beschäftigungssicherungszuschuss (ehem. Minderleistungsausgleich): pauschale Förderung bei Einstellung, nicht mehr abhängig vom Grad der Behinderung bzw. dem Feststellungsbescheid (Zentrum Bayern Familie und Soziales - ZBFS)
  • Förderung von Maschinen-Ersatzbeschaffung, um technische Wettbewerbsnachteile zu kompensieren. Die Förderung muss unabhängig von Arbeitsplatz-Neuschaffung werden (Zentrum Bayern Familie und Soziales - ZBFS)
  • arbeitsplatzbezogene Schulungen für Menschen mit Schwerbehinderung mit Kostenübernahme von 40 Prozent, um branchenspezifisches Know-how zu verbessern (Zentrum Bayern Familie und Soziales - ZBFS)
  • Weiterbildungsetat auch für Anleitungs-Personal von pauschal 3000 Euro auf 5000 Euro pro Jahr erhöhen (Zentrum Bayern Familie und Soziales - ZBFS)
  • steigende Mindestlöhne, so wünschenswert sie sind, steigern nicht automatisch die Produktivität, sondern setzen Inklusionsunternehmen unter großen finanziellen Druck: entweder Abkopplung von Erhöhungen oder Ausgleichszahlungen (Land, Zentrum Bayern Familie und Soziales - ZBFS)
  • pauschale Personalkostenförderung bei Sozialer Beratung / Sozialdienste und Anleitern ausbauen (Bezirke)
  • steigende Mindestlöhne bei Zuverdienst-Arbeitsplätzen ausgleichen, das heißt die Zuverdienst-Förderung an Erhöhungen koppeln (Bezirke)

Zum Themenbereich Arbeit und Beschäftigung

 

Für ein selbstbestimmtes Leben

Ab den 1970er Jahren treten plötzlich viele Organisationen von Menschen mit Behinderungen dem Paritätischen in Bayern bei. Das ist Ausdruck eines neuen Selbstverständnisses – sowohl des Verbandes, als auch der Menschen mit Behinderungen selbst. Sie fordern im Rahmen der sogenannten Behindertenbewegung ein selbstbestimmtes Leben.

 

Zum Geschichts-Wiki des Paritätischen

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    Menschen werden wegen ganz unterschiedlicher Merkmale ausgegrenzt. Wenn wir von Inklusion sprechen, denken wir deshalb nicht nur an Menschen mit Behinderungen, sondern an „alle“.

    Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit - sie umfasst das körperliche, seelische und soziale Wohlbefinden. Doch nicht alle Menschen haben die gleichen Chancen, gesund zu sein.

    Jeder Mensch hat das Recht auf ein Leben in Würde - auch im Alter und bei Pflegebedürftigkeit. Ein „Weiter so“ in der Pflege ist keine Lösung. Wir brauchen einen Masterplan, der Pflege neu denkt.

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